© HHP 2002/06/21 GG
"Siddhartha"
Die Tondichtung

von Matthias Bonitz
 

2.Juli.2002  Stadtkirche Calw und Erscheinen der CD
3.Juli.2002 Tübingen
4. Juli 2002 Kloster Maulbronn
5. Juli 2002 Stadtkirche Calw (Indientag)
[CD-Beilage - ebs  6128 - ebs records GmbH, 2002]
ebs records GmbH
Bietigheim-Bissingen
www.EBSMusikproduktion.de
Text:  CD "Siddhartha"



 

Enstehungsgeschichte:

Matthias Bonitz

Hermann Hesses indische Novelle “Siddhartha” habe ich Mitte der 70er Jahre während meines Studiums in Detmold zum 1. Mal gelesen - es war eine fabelhafte  Geschichte aus einer mir fremden Welt - mehr nicht. Ein weiteres Mal begegnete  mir “Siddhartha” Mitte der 80er Jahre - inzwischen war ich als Kontrabassist im  “Westfälischen Sinfonieorchester” in Recklinghausen tätig, wieder war der Eindruck eine fabelhafte Geschichte - mehr nicht. Mein 3. “Siddhartha -  Erlebnis”  war dann im Frühsommer  1993  nach Abschluß und Aufführung meiner  Kinderoper “Die wundersame Reise nach Esmir” nach einem Buch von Georg Klusemann  - jetzt  befand ich mich auf der Suche nach einem neuen Kompositionsstoff  und  hatte mir angewöhnt, Literatur auch unter musikalischen Gesichtspunkten zu lesen. “Siddhartha” war jetzt plötzlich nicht mehr nur eine fabelhafte Geschichte, sondern ich begann zu verstehen - vielleicht war es auch eine “Metamorphose”  meines Verhältnisses zu Hermann Hesse. Ich erkannte die Aussage der Bipolarität in dieser Novelle, überdeutlich wurde der “Selbstbefreiungs-  Selbstverantwortungsinhalt”, der hier beschrieben wurde.  Ich empfand mich  plötzlich in großer Übereinstimmung zu diesem Siddhartha. In dieser meiner 3. “Siddhartha Phase” kam mir spontan während eines Konzertes  des “Westfälischen Sinfonieorchesters” - Leitung: GMD Walter Gillessen - in der  Kölner Philharmonie am 6.6.1993 -  wir spielten die Tondichtung “Also sprach  Zarathustra” frei nach Friedrich  Nietzsche op. 30 von Richard Strauß - die  Idee, “Siddhartha” zu vertonen. Der Stoff war ja ähnlich wie “Zarathustra” und  natürlich auch unter dem Eindruck dieses Konzertes entschied ich mich für  die Form eines einsätzigen, durchkomponierten Konzertstückes in 9 Szenen als  Tondichtung frei nach Hermann Hesse. Nur wollte ich “Siddhartha” gleichsam  “persönlich auf die Bühne bitten” und  gab ihm eine Stimme, als Soloinstrument  das Violoncello, sein “Umfeld” wurde in das Orchester, in einzelne Instrumente  oder auch in einzelne musikalische Motive gelegt. Dieses von mir sogenannte “Umfeld” sind 9 Szenen oder Tonbilder, die ich frei aus Hermann Hesses Novelle  für dieses Konzertstück ausgewählt habe.

1.Szene:  “Aufbruch”:
Siddhartha verläßt sein Elternhaus auf der Suche nach seiner Erlösung über das heilige Wort “OM” - auf der Suche nach sich selbst. Diese Suche wird durch  den Ton “CIS” dargestellt, mit dem das Konzertstück eröffnet wird. Der Ton “CIS”  ist als sogenannter “Planetenton” der Ton der Sonne - hier charakteristisch für   “Erleuchtung”. Dieses “CIS” zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Stück.

2. Szene “Bei den Samanas:
Siddhartha wendet sich den Bettelmönchen - den Samanas - zu und hofft, in ihrer  Lehre und Askese sein “OM” zu finden.  Allerdings erkennt er bald, dass das Leben mit den Samanas ihn in eine immer größere Abhängigkeit in deren Gesetze führt, statt ihm den Weg in die innere Freiheit zu zeigen. Musikalisch wird dieser  Prozeß durch einen anfänglichen Gleichklang des Violoncellos (=Siddhartha) mit  dem Orchester (=Samanas) dargestellt, bis sich das Cello im freien Metrum vom gleichbleibenden Metrum des Orchesters löst.

3.Szene “Erwachen”:
Hier wendet sich Siddhartha von den Samanas ab und wandert in die Stadt. Musikalisch erkennbar durch 4 Takte Orchester, die anschließend vom Cello beantwortet werden und gemeinsam überleiten in die

4.Szene “Kamala”:
In der Stadt findet er Aufnahme bei der Kurtisane Kamala, die ihn in alle Belange des Liebeslebens einweist - hier charakterisiert durch das italienische  Volkslied “Lu golio de`na figliola”. Der Grundton dieser Szene ist der  Planetenton der Venus, das “A”  für: “Liebe, Schönheit, Harmonie”. Kamala öffnet ihm auch den Weg zu einem reichen Kaufmann.

5.Szene “Bei den Menschen”: 
Bei den Menschen lernt er den Handel und steigt zu einem angesehenen Geschäftsmann auf. Die musikalische Formel dieser Szene ist der  Planetenton der Erde, das “G” für “Dynamik, Kraft, Realitätssinn.  Siddhtartha  verläßt unter diesem Einfluß immer mehr die Tugenden der Samanas - Askese und  Disziplin - und gerät auf den Pfad der Verschwendung und des Glücksspiels, bis  ihn nach einer durchzechten Nacht überdeutlich 

6. Szene "Sansara": 
das "CIS" für das Wort "OM" an sein eigentliches Suchen nach seinem "ICH" erinnert und er sein Sansara (ewiger Kreislauf der Wiedergeburt, wenn man nicht  den Weg zum "Göttlichen “OM" findet) in einem wilden erlebten Erwachen erkennt.  Er verläßt in den frühen Morgenstunden die Stadt, seine Geschäfte und Kamala und  wandert auf das Land.

 7. Szene "Am Flusse":
den er vor Jahren als Samana auf dem Weg zu den Menschen überquert hat, legt er sich erschöpft nieder. Im Traum erhält er eine Vorahnung seines "OM"  - musikalisch durch die thematische Vorwegnahme der Finalszene "OM" in "CIS-DUR"  dargestellt. Sein bisheriges Leben zieht an ihm vorbei, in der Erinnerung "Bei  den Menschen" lacht er über sich selbst - "Scherzando-Form" - und beschließt, ein  neues Leben zu beginnen - Cello Kadenz! 

8. Szene "Bei dem Fährmann":
Siddhartha trifft am Fluß den alten Fährmann wieder, der ihn schon als Samana über den Fluß gesetzt hat und beschließt, in dessen Dienst  einzutreten. Der Fährmann erklärt ihm, daß er alle Antworten auf Lebensfragen vom Fluß lernen kann. Siddhartha hört dem Fährmann und dem Fluß aufmerksam zu - daher  ist diese Szene ohne Cello komponiert, die Achtelbewegungen im Klavier stellen ein Flußlied - die Wellen charakterisierend - dar. Diese Szene ist mit Absicht in tiefen Oktavlagen geschrieben, da aus der Tiefe des Flusses, aus  unserer innersten Tiefe, nur die "Erleuchtung" kommen kann.

9. Szene "OM":
Durch die Sprache des Flusses und durch sein einfaches Leben beim Fährmann findet Siddhartha - vor dem Hintergrund seiner Lebenserfahrung - endlich zu sich  und dem "OM" - er wird ein "Erleuchteter", ein "Buddha".  Die musikalische  Entsprechung ist ein melodisches, reines "CIS-DUR" im ruhigen, gelassenen Tempo.  Die letzten Takte sind in hoher Oktavlage gesetzt, um - aus der Tiefe der Erkenntnis im Flußlied zur Höhe der Erleuchtung zu gelangen.

Drensteinfurt, 4. Januar 2002
Matthias Bonitz

 


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with the kind permission of the author, Mr. Bonitz