© HHP 2002-08-22 GG
[Einband: Hermann Hesse, Das Lied des Lebens, insel taschenbuch 2859, 2002]
Hermann Hesse
Das Lied des Lebens
Die schönsten Gedichte
Ausgewählt von Volker Michels
244 Seiten,  € 7.00

insel taschenbuch 2859: Der vorliegende Text folgt der Ausgabe
Hermann Hesse, Das Lied des Lebens
© Frankfurt a.M.: Suhrlamp Verlag, 1986
Umschlagbild: nach einem Aquarell von Hesse.
© Heiner Hesse, Arcegno, 2002

"Hesses bezaubernde Lyrik weiß eine sensitive Modernität
in Laute von volkstümlicher Romantik zu kleiden"
Thomas Mann

Foto: Frank Röth
"Der strenge Seher mit der zarten Stimme,
der schwärmerisch singende Asket in kurzen Hosen,
der jugendbewegte Klassiker der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts,
ihr biederster Rebell und sentimentalster Anarchist:
Unser lieber und wackerer Steppenwolf, Hermann Hesse also,
gehört zu jenen Schriftstellern, die sich leicht und nicht zu Unrecht verspotten lassen,
und die gleichwohl zu schätzen wir doch manchen Grund haben."
Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki 1973 über Hesse

... Als ein Beispiel scheinbar leicht hingeschriebener, in Wirklichkeit jedoch künstlerisch vollkommener Lyrik erscheint mir sein Gedicht „Blauer Schmetterling” [Seite 148, s.o., Ed.]… Das Versschema ist einfach und leicht zu durchschauen: Zwei Kreuzreime (abab) folgen aufeinander, in der Mitte des Gedichts entsteht durch die neue Reimfolge (cdcd) eine Zäsur, die sich auch im Inhalt widerspiegelt. In den vier ersten Versen wird eine flüchtige Beobachtung gestaltet, ein vorbeifliegender Schmetterling, man wird sich wohl einen Falter aus der Gattung der Bläulinge vorstellen müssen. Die unregelmäßige Bewegung des Schmetterlings spiegelt sich im schwebenden Rhythmus der Verse wider: Zwischen drei betonten Silben sind entweder eine oder zwei Silben eingefügt. Die Verse werden aber nicht nur durch den Endreim verknüpft, sondern auch durch Alliterationen, also durch eine Art von Anfangsreim, der auf betonten Silben liegt: „flügelt ein kleiner blauer / Falter vom Wind geweht”. Und der flüchtige optische Eindruck wird durch Assonanzen verstärkt, das heißt durch den Gleichklang der — in diesem Fall hellen — Vokale: „Glitzert, flimmert …“.

In der zweiten Strophe wird das Bild des Schmetterlings, der in der Dichtung oft als Symbol für die Seele steht, sinnbildlich überhöht: Der Falter erscheint dem Dichter als Bild für die Vergänglichkeit des Glücks. Die Verse 5 und 6, die sprachlich parallel gestaltet sind, laufen auf das Kernwort zu: „das Glück”, und der Schlussvers knüpft Wort für Wort an den vierten Vers an. Dadurch werden die Beobachtung und der daraus folgende Gedanke eng aufeinander bezogen; nicht zufällig hat der Dichter zwischen den ersten und den letzten vier Versen keinen Zwischenraum eingerückt.

Hermann Hesse hat in seiner Lyrik, übrigens auch in seiner Prosa, häufiger auf das Bild des Schmetterlings zurückgegriffen; er ist ihm „unvergänglicher Dinge / flüchtiges Gleichnis”, wie es in einem Widmungsvers des Autors heißt. Aber nirgendwo sonst in seinem Werk sind Eindruck und Reflexion so spielerisch leicht und gerade deshalb so überzeugend miteinander verknüpft wie in seinem Gedicht „Blauer Schmetterling“.  (Gerold Effert)

Die Interpretation wurde unter "Marginalien" in der Fuldaer Zeitung v. 29. Juni 2002 veröffentlicht.
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