Auszug aus der © Pforzheimer Zeitung.  Der Beitrag wurde am 7. März 2002 erstellt (s.u.)
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Auf Spurensuche bei Hermann Hesse
                  Sebastian Giebenraths neues Buch "Siddhartha aus Gerbersau - Literatur gewordene
                  Indienbilder" in Calw vorgestellt
 

                  CALW.Auch wenn der offizielle Startschuss für das Calwer Hesse-Festival aus
                  Anlass des 125. Geburtstages des Literaturnobelpreisträgers Hermann Hesse
                  erst am 29. Juni fällt, so hat die Calwer Kreissparkasse mit der Veröffentlichung
                  des Buches "Siddhartha aus Gerbersau - Literatur gewordene Indienbilder aus
                  Hermann Hesses Calwer Kindheit" von Sebastian Giebenrath schon jetzt einen
                  ersten Meilenstein gesetzt, denn mit dem mehr als 100 Seiten umfassenden
                  Buch wurde ein neues Kapitel in der Hesse-Forschung aufgeschlagen. Mehr
                  noch: Hermann Hesses Sohn Heiner sei von dem Werk "außerordentlich
                  beeindruckt gewesen", wie der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Calw,
                  Jürgen Teufel, ausführte. Bei einem Besuch in Ancona habe man ihm das erste
                  Exemplar des Buches, zu dem er auch das Nachwort geschrieben hatte,
                  überreicht. Noch in der Nacht habe er das Buch gelesen und sei von den
                  Erkenntnissen sichtlich berührt gewesen.

                  Durch einen Zufallsfund und anschließend intensive Recherche ist es Sebastian
                  Giebenrath, seit vielen Jahren auch den Lesern der Pforzheimer Zeitung als Autor
                  bestens bekannt,

                  gelungen, die seltsam verwunschene Bilderwelt in Hesses weltweit
                  meistgedruckter Novelle "Siddhartha" zu entschlüsseln.

                  Jahrelang hat sich Sebastian Giebenrath, der vor mehr als 50 Jahren erstmals auf
                  den in Calw geborenen Autor aufmerksam wurde, mit Hesse beschäftigt, hat in
                  Archiven gestöbert, sich mit Zeitzeugen unterhalten und mit internationalen
                  Fachleuten korrespondiert. Doch nicht die uneingeschränkte Begeisterung für
                  Hesses Gesamtwerk hat Giebenrath zu diesem Handeln veranlasst - "ich habe
                  Hesse noch nie angehimmelt" -, sondern vielmehr die Tatsache, dass Hermann
                  Hesses "Siddhartha" anders als all seine anderen Werke ist.

                  Mitte der 50er-Jahre hatte Giebenrath erstmals Hesses indische Novelle
                  "Siddhartha" gelesen und dabei keine wahre Freude empfunden, "weil ich in der
                  ganzen Erzählung keine Farben und keine Töne gefunden habe". Es sei
                  merkwürdig gewesen, "aber es war nicht jener Hesse, den ich sonst so mag". Die
                  Geschichte sei seltsam lieblos gewesen, auch wenn der Autor eine besonders
                  hymnische und rhythmische Sprache eingesetzt habe. Angesichts der vielen
                  Literatur, die Giebenrath in jenen Jahren verschlungen hat, war "Siddhartha" bald
                  vergessen. Der Zufall wollte es aber, dass Giebenrath immer wieder über das
                  wenig geliebte Werk stolperte. Mal veranlasste die Lektüre von Hesses
                  Reisetagebüchern den Autor dazu, sich mit "Siddhartha", den darin zu findenden
                  Sprachbildern und Emotionen auseinander zu setzen, mal zwang ihn ein
                  Geschenk dazu, erneut zu der Novelle zu greifen, denn das Geschenk, ein
                  Faksimiledruck des 1883 veröffentlichten Bandes "Calwer historisches Bilderbuch
                  der Welt", das Hesses Großvater Hermann Gundert verlegt hatte, verschaffte
                  Giebenrath einen neuen Zugang zu Hesses-Bilder- und Sprachwelt. Nicht die
                  persönlichen Eindrücke, die Hesse bei seiner Reise 1911 nach Asien gewonnen
                  hatte, hatte der 1946 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Autor
                  schließlich in seiner Erzählung verarbeitet, sondern Bilder aus den Kindertagen:
                  Impressionen in Schwarzweiß, gedruckt, unbewegt und geruchsneutral. Und so
                  wenig wie einst das "Calwer historische Bilderbuch der Welt" alle Sinne Hesses
                  berührte, so wenig sinnliche Informationen verarbeitete der Autor in seiner 1922
                  veröffentlichten Novelle.

                  Die Sinne ansprechend ist indes das jetzt von der Kreissparkasse Calw verlegte
                  Buch "Siddhartha aus Ger-bersau", wie Sandra Pfäfflin bei ihrer Laudatio
                  ausführte. Das Buch lasse den Leser erleben und spüren, was der sechsjährige
                  Hesse gefühlt, geschmeckt, gerochen und empfunden haben muss, als er zum
                  ersten Mal das große und komfortabel ausgestattete "Calwer historische
                  Bilderbuch der Welt" in den Händen gehalten hat. Dass die imaginäre Begegnung
                  der beiden Sinnesmenschen Hermann Hesse und Sebastian Giebenrath ein
                  Buch zum Ergebnis haben würde, das informativ und vergnüglich zu lesen ist und
                  dabei noch eine Reihe neuer Erkenntnisse an den Tag bringt, war angesichts der
                  intensiven Auseinandersetzung Giebenraths mit Hesse zu erwarten gewesen.
                  "Giebenrath weiß nicht nur trefflich zu formulieren, er weiß auch einzuordnen und
                  die zusammengetragenen Informationen in den Kontext zu setzen", lobte Pfäfflin
                  den "optisch wie haptisch hervorragend ausgestatteten Band". Der Autor und die
                  Kreissparkasse Calw haben nach Einschätzung Pfäfflins mit dem Buch
                  "Maßstäbe im Hessejahr gesetzt".

                  Giebenrath hat mit der Fertigstellung des aktuellen Buches aber noch lang nicht
                  mit Hesse, dessen Leben und Werk abgeschlossen, wie der Autor bei der
                  Buchvorstellung verriet: Mit einer literaturpsychologischen Betrachtung will sich
                  Giebenrath in seinem nächsten Buch mit Hesses "Verlust des Herzens" während
                  der Jahre 1893/94 auseinander setzen. "Das ist eine fast kriminalistische Reise
                  durch Archive, Briefe und Literatur", so der Autor. Er glaubt, dass Hesse über die
                  Prosawerke versucht hat, "sein in der Jugend verlorenes Herz" wiederzufinden.
                  Aus diesem Grund habe sich Hesse auch bis zu seinem Tod fast ausschließlich
                  mit autobiografischen Erfahrungen auseinandergesetzt. Und Hesse muss wohl
                  geahnt haben, was Giebenrath letztlich in Worte fasste: "Dort wo er erfindet, lässt
                  er nach."Ralf Recklies

                  Das Buch ist zum Preis von 15 Euro im Buchhandel erhältlich.
                  Erstellt am: 07.03.2002