© Gerhard Kirchhoff and HHP, 1997


Besprechung von Gerhard Kirchhoff
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"STEINKUHLER BLÄTTER"
 ZEUGNISSE DER AKTUALITÄT HERMANN HESSES

herausgegeben von Helmut Friedewald
(Alte Markstraße 20, D-44801 Bochum)

Watercolor from the personal collection of Mr. Friedewald



 
 
 

Die "Steinkuhler Blätter" enthalten exakte bibliographische Angaben zu: -- Erst- und Neuauflagen von Büchern Hermannn Hesses oder über ihn -- zu Übersetzungen in andere Sprachen -- zu Wiederabdrucken einzelner Texte Hesses -- zu Literaturgeschichten, Anthologien, Monographien, wissenschaftlichen Werken verschiedener Fahultäten, -- zu Jahrbüchern, Festschriften, Verlagsgeschichten und Bibliographien: mit Angaben auch der Seiten, wo Hesse erwähnt ist, gegebenenfalls mit Hinweisen auf Zitate oder auf Abbildungen; Kopien von: -- Rezensionen zu Büchern von oder über H.H. - von Berichten über Vorträge zu Hesse -- Kopien aus Antiquariatskatalogen mit Werken von oder zu ihm; Hinweise auf Radio- und Fernsehprogramme um ihn, auf Konzertprogramme mit Gedichten Hesses, auf Ausstellungen seiner Aquarelle, auf seine Würdigung bei der Wiedereröffnung des Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg im Juli 1996, auf das Hesse gewidmete Augsburger Literaturfestival 1997, Hinweise auf Hesse in Audio-Books, auf CD-Rom, im Internet. Man liest, welche 'Fragebogen-Persönlichkeiten' Hesse oder ein bestimmtes Werk von ihm besonders schätzen; man findet Todesanzeigen über denen ein Hesse-Zitat steht; aber auch andere 'Beschwörungen' Hesses, zum Beispiel in Anzeigen der Suche nach einem Lebenspartner. Man erfährt (oder wird daran erinnert), daß die Calwer Volksbank anläßlich des 100sten Geburtstags Hesses 1977 eine Medaille in Silber und in Gold hat prägen lassen, die auf einer Seite sein Porträt und auf der anderen sein Geburtshaus zeigt; daß in der 10.Folge der 13-teiligen ARD Sendereihe "Kein schöner Land" ein Hesse Text über den Bündner Wein zu hören, daß der Leiter des Hermann Hesse Museums auf die Rückkehr von Hesses altem Schreibtisch nach Gaienhofen stolz ist; daß …

Zu diesen Beispielen aus 9 der 12 jüngsten Ausgaben der "Blätter" noch ein Wort zu ihren Illustrationen: Erinnerungen an Orte, wo Hesse gelebt hat, Portraits von Personen, die mit ihm in Verbindung standen, und auch sparsam eingestreute Kopien von Karten Hesses an Friedewald oder des Typoskripts einer Werdestation eines der letzten Gedichte Hesses ("Nachts im April notiert"), das Hesse im April 1962 geschickt und das Friedewald im Januar 1997 in den "Blättern" weitergegeben hat. Sie zeugen, wie das "signiert vom Autor E.Sinclair", das Hesse Friedewald im September '61 beim letzten Treffen in Montagnola in ein Exemplar einer frühen Ausgabe des "Demian" schrieb, von naher Freundschaft. Friedewald 'vermarktet' sie ebensowenig wie die Photographien, die er bei seinen fünf Besuchen in Montagnola gemacht hat; er gibt sie als Freund Hesses an Freunde weiter; wie von Zeit zu Zeit auch Grüße aus seiner Malerwerkstatt: Miniaturen in Ölfarben auf Papier: Bilder innerer Erfahrung von Gedichten zum Beispiel Johannes Bobrowskis und vom Montagnola Hermann Hesses, die den Betrachter so unmittelbar im Inneren anrühren wie Hesses Aquarelle und die zu Meditationen über die Welt und über das Leben anregen.

 Mit Hermann Hesse kam Friedewald während seiner Gefangenschaft in Kontakt, als er im ''Ausblich", einer deutsch- sprachigen Zeitschrift für Kriegsgefangene, einen Nachdruck des in der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 21.09.1919 veröffentlichten "Briefs an einen jungen Deutschen" entdeckte. Dieser "Brief", in dem Hesse durch sein achtungsvolles Verständnis für dessen Situation und seelische Verfassung einen an Gott, an der Welt und an sich selbst Verzweifelten des 1.Weltkriegs ermutigt hat, dem eigenen Selbst zu vertrauen, brachte Friedewald vom ersten Augenblick seiner Bekanntschaft mit Hesse an mit dem Hesse in Verbindung, der sich seit 1914 mit dem Geist der Epoche, mit ihrem Krieg und mit sich selbst rigoros auseinandergesetzt und die Überzeugung gewonnen hatte: "das Leben würde reicher und höher gedeihen", wenn man wüßte, "was ein wirklich lebender Mensch ist" und statt anbefohlenen 'Tugenden' "dem Gesetz in sich selbst, dem 'Sinn' des 'Eigenen'" folgte. Hesse hatte diesen 'Sinn', aus dem auch der "Brief an einen jungen Deutschen" erwachsen ist, Ende 1917 in seiner Betrachtung "Eigensinn" vorgestellt und begründet. Er war ihm zur einzigen für Menschen wahrhaft legitimen und imperativen Obrigkeit geworden. André Gide bekannte sich 1947 in seinem Vorwort zur französischen Ausgabe der "Morgenlandfahrt", das auch eine Hommage an Hesse und an jeden auf seine Weise Eigensinnigen ist, zu diesem Eigensinn, den er wie Hesse als ein auf die genaue Kenntnis der eigenen Person gegründetes Selbstvertrauen verstanden hat: als "die oberste Tugend" des Menschen, "die Tugend der kleinen Zahl" derer, die, auch wenn es das Leben kosten kann, "ihrem 'eigenen Sinn' treu" bleiben und von denen "die Zukunft des Menschen abhängt".

 Als Hesse dem Verzweifelten des 1.Weltkriegs schrieb, wußte er nicht nur aus Büchern, sondern auch aus eigener Erfahrung, wie schwer es jener, seit und solange es Menschen gibt, aktuelle und gefährdete, dem eigenen Selbst treue Eigensinn hat, sich den tausend äußeren Zwängen und dem "Zorn der Chefs und der Direktoren der Herde" (Gide) gegenüber zu behaupten. So konnte er dem Verzweifelten antworten, ohne sich über ihn zu erheben. Er erklärte sich als für das Übel mitverantwortlich und von ihm mitbetroffen und empfahl, weder nach fremder Schuld zu suchen, noch "von außen" Hilfe zu erwarten, sondern "die wichtigen Fragen unseres Lebens, alle unsere 'Schuldfragen', alle unsere Gewissensfragen in der eigenen Brust zu entscheiden".

Man versteht, daß der "Brief" aus dem Jahre 1919 nach dem 2.Weltkrieg, auch von Hesse, wieder veröffentlicht wurde. Der Geist der Zeit hatte sich nicht gewandelt, und Hesses so warmherzige wie präzise Kritik dieses Zeitgeists war eher noch nötiger als 1919, sein Appell an den Eigensinn noch dringender. Er wurde von vielen gehört, aber von vielen auch schnell wieder vergessen. Friedewald ist ihm beständig treu geblieben. So erwuchs ihm aus seiner ersten Lesebegegnung eine fortdauernde Verbundenheit mit Hesse. Daß daraus eine Freundschaft mit persönlichen Begegnungen in Montagnola werden konnte, beruht wohl auf einem inneren Einklang. Friedewald hat, so erscheint es mir, wie Hesse das "Gesetz in sich selbst, den 'Sinn' des 'Eigenen' " stets höher geachtet als "Geld und Macht und all die Dinge, um derentwillen Menschen einander quälen und am Ende totschießen" (Hesse, "Eigensinn"). Er lebte von Kindheit an im Bereich der Bücher, Bibliotheken und Antiquariate; er ging seinen Erfahrungen in seinen Bildern, Gedichten und Kurzgeschichten nach; er war, um leben und eine Familie ernähren zu können, in der Erziehungsberatung für Eltern, Kinder und Jugendliche der Stadt Bochum tätig. Ich weiß nicht, ob er dabei auch an Hermann Hesses und Richard Wolterecks Monatschrift "Vivos Voco" gedacht hat, die ja dem allem verwandten Intentionen folgte; aber ich weiß, daß Friedewald Hesse, seit seiner ersten Lesebegegnung treu geblieben ist und daß seine "Steinkuhler Blätter" schon zwei Jahrzehnte lang ein lebendiges und beständiges Zeugnis seiner Verbundenheit mit Hesse sind. Friedewald schickt sie an Freunde und hofft insgeheim doch, daß immerhin auch einige Bibliotheken sie abonnieren. Das geschah bisher nur an Universitäten, wo sich ein Professor insbesondere mit Hesse befaßt: in Regensburg, in Dresden, an der Keimyung University in Südkorea und an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. Sonst kam es bisher wohl zu gewissen Sympathieerklärungen, aber doch zu keinem Abonnement. Wie anerkennenswert die "Blätter" auch seien, sagte mir der Leiter eines akademischen Bestellbüros, er sehe nicht, warum er sie in die Bibliothek aufnehmen solle. Sie reihten wohl aneinander, was der Herausgeber in jüngsten und jüngeren und auch in weiter zurückliegenden Publikationen zu Hermann Hesse, zu Gunter Böhmer, zu Hugo Ball und Emmy Ball-Hennings findet, aber es gebe weder ein Namensregister noch ein Inhaltsverzeichnis, dank derer man finden könnte, was man suche. Das trifft zu; aber solche Verzeichnisse lassen sich in einer Bibliothek ja erstellen und den "Blättern" beiheften, die nicht als lexikalische Such-und-Finde-Hilfe konzipiert sind, sondern als eine zum Lesen-und-Finden gedachte Sammlung von Daten zur vielfältigen Wirkungsgeschichte Hermann Hesses, die sich fortschreibt und Auskünfte zur Aktualität von Hesses Werk gibt. Eben darum wären diese "Blätter" Helmut Friedewalds gerade auch in öffentlichen Studienbibliotheken eine aufschlußreiche Ergänzung zu den Werken sowie zur Literatur über sie. Das Jahresabonnement (12 Lieferungen mit insgesamt ca. 300 Seiten) kostet, die Porti eingeschlossen, 120 DM. Auch frühere Jahrgänge können bestellt werden, mit 30% Nachlaß. Vielleicht wird auch darum dieser (zu wohlfeile?) Freundesdienst Helmut Friedewalds zwar begrüßt, aber kaum genutzt.


Gerhard Kirchhoff
April 1997


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